Panik bringt nichts

Panik bringt nichts

Normalerweise würden da Blumen auf dem Tisch stehen. Niels hatte nicht mal einen Tisch, auf dem Blumen hätten stehen können.
«Erster Tag?», hatte der Hausmeister ihn gefragt und unumwunden zugegeben, dass sich niemand gekümmert hatte. Der Hausmeister hieß Bunkus. Gemeinsam liefen sie nun schon seit einer halben Stunde durch das Gebäude, Bunkus vorlaufend, die langen Flure entlang; Bunkus leise schimpfend: Es sei mal wieder typisch, alles bleibe an ihm hängen.
Schließlich fanden sie doch noch ein Büro mit einem freien Tisch, ein leeres Einzelbüro am Ende des Flures. Es gab zwar keine Fenster, aber für die ersten Tage würde das doch gehen – oder? Bunkus sah Niels hoffnungsvoll an; er schwitzte und atmete keuchend. Dann hustete Bunkus so heftig, dass ihm ein Backenzahn ausfiel. Rasch steckte er ihn in die Kitteltasche. Niels tat so, als hätte er das nicht gesehen.
«Also?»
Niels nickte zaghaft, das sei wohl kein Problem.
Herr Bunkus machte ein wässriges Geräusch, verließ das Büro und schloss die Tür hinter sich.
Niels musste für einen Moment die Augen schließen. Fing doch wirklich gut an! Etwas brummte und surrte, es roch muffig und feucht wie in einem Familiengrab. Eine Wand war aus roher Erde, aus der Würmer krochen, sich windend. Niels vermutete, dass er sich tief im Erdreich befand – die Fahrt mit dem Lastenaufzug hatte erstaunlich lange gedauert. Der Hausmeister hatte kein Wort gesagt, nur schnaufend geatmet, während der ächzende und rumpelnde Kasten sie hinab befördert hatte. Stöhnend, leidend und ratternd.
«Warten auf ein Ersatzteil», hatte Bunkus knapp erklärt, als der Aufzug zu heulen und jaulen begonnen hatte. Erleichtert war Niels schließlich ausgestiegen, Bunkus hatte wieder die Führung übernommen.
«Normalerweise geht das nicht, aber es ist unsere letzte Chance.»
Auf dem Schreibtisch standen ein PC und ein alter Monitor, lagen Maus und Tastatur. Alles staubig. Alles ölig. Technisch völlig veraltet.
«Ein Telefon müssen Sie sich noch organisieren – versuchen Sie es bei Herrn Glombinski, der arbeitet auch hier unten, Zimmer E89», hatte Bunkus erklärt.

Herr Glombinski sah ihn mit großen Glupschaugen an. Wie ein krötiges Tier, dachte Niels unwillkürlich. Das Weiße in den Augen war gelb.
«Ein Telefon, ja? Muss ich bestellen, kann dauern, melde mich.»
Niels nickte. Sein Blick fiel auf die Zehnerpackung Eier, die auf dem Schreibtisch von Herrn Glombinski herumstand. Drei Eier waren geköpft und leer, mutmaßlich ausgetrunken.
«Sonst noch was? Hab zu tun.»

Niels kehrte in sein Büro zurück und fuhr den Rechner hoch. Er surrte, ratterte und klickte. Kryptische Fehlermeldungen erschienen auf dem Bildschirm, ein dringliches Piepen ertönte. Es roch verbrannt. Niels seufzte. Er zog den Stecker des Computers aus der Steckdose. Sicherheitshalber. Was sollte er tun? Die IT alarmieren – Glombinski fragen.
Der sah den Neuen irritiert an: «Sie waren heute schon einmal hier.»
«Stimmt», gab Niels zu. «Es geht um meinen Computer–»
«IT ist nicht meine Baustelle», brummte Glombinski. «Rufen Sie Mandelbaum an.»
«Aber ich habe doch kein Telefon.»
«Ist bestellt, dauert noch.»
«Könnten Sie–»
«Hab zu tun. Tür zu.»

Den restlichen Arbeitstag verbrachte Niels damit, den langen Flur auf und ab zu gehen. Er zählte die kaputten Leuchtstoffröhren; es waren acht Stück. Er begegnete niemandem, alle Bürotüren waren verschlossen.
Am Mittag verspeiste er gierig seine mitgebrachten Butterbrote, belegt mit Mortadella und dicken Gurkenscheiben. Danach war Niels kurz davor, Herrn Glombinski zu besuchen, um ihm seine Glupschaugen auszustechen. Stattdessen lauschte er an den Türen: Zimmer E81, E82, E83. Er hörte nichts und niemanden. Hörte nur sein Blut durch die Adern rauschen. Und es brummte immerzu, aber daran hatte Niels sich schon gewöhnt.
Um 16 Uhr war er der Meinung, genug getan zu haben an diesem ersten Arbeitstag. Er warf die tote Maus in den Papierkorb, löschte das Licht und schloss die Bürotür. Morgen würde er sich beschweren – eigentlich war das eine Unverschämtheit, sie hatten seine Zeit verschwendet, er hatte nichts geleistet. Und doch war er müde und erschöpft. Wovon eigentlich?
Als Niels den Lastenaufzug betrat, stand in der Ecke bereits Herr Glombinski. Als hätte er auf ihn gewartet.
«Hab auf Sie gewartet.»
«Danke …»
«Wie war Ihr erster Tag?»
«Okay», log Niels.
Glombinski nickte. Er trug eine beigefarbene Jacke und hielt eine abgewetzte Ledertasche in der Hand.
«Drücken Sie mal», bat Herr Glombinski.
Es gab nur zwei Knöpfe: Ebene 0 und den Alarm. Rumpelnd, knackend und knarzend setzte sich der Kasten in Bewegung. Schwerfällig und zögernd, irgendwie widerwillig.
Glombinski hatte offenbar Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Er lehnte sich gegen die Blechwand, was der Lastenaufzug mit einem kurzen Knarzen quittierte. Niels wollte den Blick von seinem Kollegen abwenden, doch er konnte nicht: Er starrte Glombinski regelrecht an. Wie er da schwer atmend versuchte, nicht zu sterben. Diese gelben Glubschaugen. Dieses furchige Gesicht.
«Anstrengender Tag», erklärte Glombinski, als er Niels’ Blick bemerkte. Der Mann roch nach altem Schweiß, Niels atmete durch den Mund, doch der Luftzug tat an den Backenzähnen weh.
Dann gab es einen abrupten Ruck und das Licht ging aus. Sie standen still. Glombinski knurrte. Niels hörte, wie er die Ledertasche abstellte und an seiner Jacke nestelte. Plötzlich blickte Niels in ein grelles Licht.
«Panik bringt nichts», sagte Glombinski, der eine kleine Taschenlampe in der Hand hielt. Er wirkte erstaunlich gelassen, als er die Notruftaste drückte.
«Passiert das öfter?», fragte Niels, der seine Situation nicht fassen konnte, nicht fassen wollte. Er kapierte das alles nicht.
«Alle paar Tage», erwidert Glombinski und atmete laut aus.
«Na ja, und jetzt?»
«Bunkus muss oben den Alarm hören und den Aufzug neu starten.»
«Hoffentlich geht das schnell», sagte Niels mehr zu sich selbst, als Hoffnung gedacht.
«Halbe Stunde, Stunde», sagte Glombinski und schaltete die Taschenlampe wieder aus.